Die Suche nach der eigenen Erzählstimme ist wie die Suche nach einem seltenen Tier im Nebel. Viele sagen, du findest sie, wenn du schreibst, als würdest du reden, oder wenn deine Leser denken: „Ja, das klingt genau nach dir!“
Ich sehe das anders!
Deine echte Schreibstimme erkennst du, wenn sie so perfekt zur Geschichte passt, dass sie unhörbar wird. Sie verschmilzt mit der Story, wird eins mit den Figuren, den Bildern, den Emotionen – so sehr, dass niemand sie bemerkt.
Klingt paradox? Ist es auch ein bisschen. Aber lass mich erklären, wie das funktioniert.
Woran erkennst du deine eigene Stimme?
Lass uns mal die Perspektive wechseln!
Wenn Lesende eine gute Geschichte durch die Lektüre eines Buches erleben, dann interessiert sie am allerwenigsten das Ego der Autorin oder des Autors dahinter. Gerade wollen sie nur die Story wahrnehmen.
Eine gute Erzählstimme ist wie ein guter Soundtrack in einem Film, der die Szenen verstärkt, ohne sich aufzudrängen. Die Autorin tritt nicht nebulös in Erscheinung, um mit ihrer Fabulierkunst zu prahlen. Dafür gibt es andere Medien. ; )
Hier sind drei Zeichen, dass du dein Ding gefunden hast:
1. Die Geschichte spricht für sich.
Deine Worte klingen nicht mehr wie Worte, sondern schaffen Bilder und Gefühle. Du merkst, dass deine Leser nicht deine Sätze bewundern, sondern ganz in die Story eintauchen.
2. Du wirst zur Erzählerin im Hintergrund.
Deine Stimme wirkt, ohne laut zu sein. Sie gibt der Geschichte Struktur, treibt sie voran, aber sie ist nicht die Hauptfigur. Sie lässt der Story und den Figuren den Raum, den sie brauchen. Es geht nicht um deine Eitelkeit als Autorin. Es geht darum, dass du der Story das Beste gibst, was sie braucht.
3. Alles fühlt sich leicht und natürlich an.
Wenn du schreibst, fließt es – nicht, weil du besonders „du“ bist, sondern weil die Geschichte durch dich hindurch spricht. Du bist nicht der Star, sondern die perfekte Erzählerin im Schatten.
Wie findest du zu deiner Stimme?
Jetzt fragst du dich vielleicht: Wie finde ich diese Stimme, die so eng mit meiner Geschichte verschmilzt?
Ganz einfach (nun ja, so einfach vielleicht auch doch nicht!): Indem du den Druck rausnimmst, dass es „nach dir“ klingen muss, dass du "besonders" schreiben musst, individuell, einzigartig. Stattdessen konzentriere dich voll und ganz auf die Geschichte selbst. H
Hier ein paar Tipps, wie du diesen Prozess angehen kannst:
1. Lass die Geschichte entscheiden.
Dein Job ist es, deiner Geschichte zuzuhören. Was braucht sie? Welchen Ton verlangt sie? Ob humorvoll, düster, poetisch oder schnörkellos – die Geschichte gibt die Richtung vor, du folgst nur. Stell dir vor, du bist der unsichtbare Faden, der alles zusammennäht.
2. Verschwinde hinter deinen Figuren.
Eine gute Methode, um deine Stimme mit der Geschichte verschmelzen zu lassen, ist, dich ganz auf die Perspektive deiner Figuren einzulassen. Wie würden sie die Welt sehen? Wie reden sie? Versuche, in ihre Köpfe zu kriechen und aus ihrer Sicht zu schreiben, statt aus deiner.
3. Schreib, um zu erzählen, nicht um zu beeindrucken.
Dein Ziel ist nicht, dass die Leser sagen: „Wow, das ist aber ein toller Schreibstil!“ Dein Ziel ist, dass sie sagen: „Ich hab total vergessen, dass ich lese!“ – weil sie so in deine Geschichte eintauchen, dass sie die Worte um sich herum vergessen.
Störe deine Erzähl-Muster
Selbst wenn du eine Stimme gefunden hast, die sich richtig anfühlt, kann es passieren, dass du in gewohnte Sprach-Muster verfällst.
Wenn das passiert, hört man die „Stimme“ plötzlich wieder durch die Geschichte hindurch.
Also, wie bleibst du frisch und lässt deine Stimme mit der Story verschmelzen?
Hier sind drei konkrete Tipps, um deine eingefahrenen Schreibgewohnheiten zu durchbrechen und die Stimme der Geschichte lauter werden zu lassen.
1. Erzähl dieselbe Szene in verschiedenen Stilen.
Nimm eine Szene aus deiner Geschichte und erzähle sie auf völlig unterschiedliche Arten. Einmal schreibst du sie wie eine nüchterne Reportage, das nächste Mal wie eine epische Ballade oder vielleicht sogar als Tagebucheintrag. Dadurch verlässt du deine gewohnten Muster und stellst fest, wie unterschiedlich du dieselbe Geschichte erzählen kannst. Finde dabei den Stil, der sich so natürlich anfühlt, dass er sich nahtlos in die Story fügt.
2. Lösche die erste Seite.
Manchmal versteckt sich deine echte Stimme erst ab der zweiten oder dritten Seite. Warum? Weil die ersten Zeilen oft von dem Versuch geprägt sind, „gut“ zu klingen. Lösche also die erste Seite oder die ersten Absätze und schau, wie sich der Text verändert. Du wirst erstaunt sein, wie viel flüssiger und ehrlicher der Rest der Geschichte plötzlich klingt – weil die Schreibstimme dann im Fluss der Erzählung liegt.
3. Schreibe „Ohne Worte“ (Na ja, fast).
Beschreibe eine Szene, in der möglichst wenig "kommentierst" oder "erklärst". Lass deine Figuren selbst ausdrücken, was sie fühlen – zeige es in ihren Handlungen, ihren Gesten, den kleinsten Details, durch ihre eigenen Worte. Dadurch verschiebst du den Fokus von deinen Worten hin zu den Bildern, die du zeichnest. Deine Stimme wird weniger sichtbar und deine Geschichte tritt in den Vordergrund.
Fazit: Verschmelze mit der Story
Deine Schreibstimme ist nicht die lauteste im Raum – sie ist die, die sich perfekt in die Geschichte einfügt, die dir als Erzähler das Gefühl gibt, dass du die Story so erzählst, wie sie es verdient.
Wenn du deine Stimme gefunden hast, wird sie wie ein Chamäleon in die Farben deiner Geschichte eintauchen, sodass niemand sie bewusst wahrnimmt – und genau das ist die Magie.
Also, mach dir keine Sorgen darüber, ob deine Schreibstimme „nach dir“ klingt. Stattdessen lass sie mit deiner Geschichte verschmelzen und die Story ihre eigene Stimme finden.
Denn: Es geht nicht um dich. Es geht um die Story und darum, dass die Lesenden in sie eintauchen können.
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